Kein Privatleben mehr als tätiger Übersetzer?

Englisch, Französisch...
Antworten
Gast

Auch ich habe vor, den Übersetzer bei AKAD für Französisch zu machen. Nun habe ich gehört, daß man nachher als Übersetzer die Aufträge unter enorm hohen Zeitdruck abwickeln muß, daß es als Selbstverständlichkeit von den Kunden vorausgesetzt wird, daß ein Übersetzer jahrein jahraus 7 Tage, also inkl. Wochenende, die Woche, mindestens 14 Std. arbeitet, daß ein Übersetzer kein Privatleben mehr hat, daß ein Übersetzer die Abgabetermine nicht selbst bestimmen kann, sondern vom Kunden vorgeschrieben werden, daß ein Übersetzer keine Chance hat, vorher einen Blick auf den zu übersetzenden Text zu werfen, bevor er den Auftrag annimmt und daß die Preise nicht vom Übersetzer, sondern vom Kunden vorgeschrieben werden, und wenn man das nicht will, soll man niemals Übersetzer werden, weil dieser Beruf in Punkto Arbeitszeit und Privatleben, genau wie der Beruf der Journalisten und Ärzte ein Sonderfall wäre. Das hört sich alles nach Schauermärchen an. Weiß jemand was Genaueres? Denn, wenn das so ist, lasse ich lieber die Finger davon. Ach ja, und im Bereich Wirtschaft, Recht und Technik wollte ich sowieso keine Übersetzungen machen, die sind mir zu trocken. Mich interessieren nur die Bereiche Touristik, Wellness, Lebensqualität und Work-Life-Balance. Work-Life-Balance interessiert mich am allermeisten, denn es ist ja auch momentan in aller Munde.

Dankeschön.
Gast

Kann denn niemand etwas zu dem Thema sagen?
Hat irgendjemand andere Infos als ich sie bekommen habe?
Muß man als Übersetzer tatsächlich fast rund um die Uhr arbeiten?

Danke!
Benutzeravatar
Reinold Skrabal
Forums-Scout
Forums-Scout
Beiträge: 298
Registriert: 19.01.03 19:32
Wohnort: Göppingen
Kontaktdaten:

Tja, lieber Gast, was man Ihnen von der Belastung der freiberuflichen Übersetzer (männl. gleich weibl. Form) erzählt hat, ist schon richtig, das will ich nicht beschönigen. Davon abgesehen muss man sich die Frage stellen, was mehr auf den Geist (und die Geldbörse) geht: zu wenig oder zu viel Arbeit.

(Erfolgreiche) Freiberufler mit einem 8-Stunden-Tag gibt es nun mal nicht. Einen leidenschaftlichen, selbständigen Fremdsprachler, der seinen Beruf als Hobby sieht, sich selbst verwirklichen will, hart zu arbeiten und sich fortzubilden bereit ist, Durchsetzungsfähigkeit beweist, ficht der hohe Zeiteinsatz nicht an, zumindest nicht in den ersten 10 bis 15 Jahren der Selbständigkeit. Wenn er aber so viel Erfolg hat, dass er 7 Tage durcharbeiten kann, dann kann er irgendwann auch mal Schwerpunkte setzen, z.B. ein Fachgebiet aus dem Leistungskatalog nehmen oder nur für handverlesene Kunden arbeiten.

Wie sieht den in der heutigen Zeit die Alternative aus? Als Angestellte(r) gehören Sie schon ab ca. 45 zum alten Eisen, stehen mit einem Fuß im Arbeitsamt und bekommen für jeden Euro Rentenbeitrag nur 75 Cents raus, bei sich ständig verschlechternden Bedingungen.

Da aktiviere ich - ob dieser traurigen Realität - doch lieber meine kämpferischen Qualitäten (so vorhanden!!!), beiße mich durch, investiere in meine Fortbildung, sichere das Risiko durch "fremdsprachliche Produkt-
diversifikation" ab (mehr darüber im Seminar am 27.09.03 in Esslingen/Stuttgart) und bin im Gegensatz zu den abgehalfterten, frustrierten Angestellten auch noch mit 60+ ein zufriedener, anerkannter, gefragter, jung gebliebener Freiberufler, während die schon vor 60 zwangsverrenteten Angestellten - sofern sie nicht schon mit 50+ in die Dauerarbeitslosigkeit entlassen werden - längst schon hinterm Ofen sitzen und über ihr Schicksal hadern.

Ich kenne Kollegen, die bis 80 und darüber hinaus noch mit größter Begeisterung und zeitlich natürlich eingeschränkt tätig sind, nicht nur Übersetzer, sondern auch Anwälte, Steuerberater, alle Arten von Freiberuflern. Insofern lohnt sich auch eine längere Ausbildungsdauer in Form eines technischen oder kaufmännischen Zusatzstudiums, um die Chancen zu erhöhen und nicht ewig als Nur-Übersetzer dazustehen.

Der Weg zu diesem Erfolg, zu dieser schönen freiberuflichen, geistig anspruchsvollen Tätigkeit, ist steinig. Wenn Sie, lieber Gast, aber jetzt schon die tragenden Verdienstsäulen wie Wirtschaft, Recht, Technik ausschließen, dann sehe ich schwarz, denn mit Belletristik, Wellness und Work-Life-Balance "kommt kein Braten an die Sauce", denn mit solchen Exotenfächern ist kaum Geld zu verdienen. Der Profiübersetzer mit zwei Fremdsprachen auf gleicher Qualitätsstufe im Angebot muss sich - wie alle anderen Freiberufler - am Markt orientieren und pragmatisch denken und handeln. Er benötigt ein gerüttelt Maß an kaufmännischen Fähigkeiten, die bei Übersetzern leider nicht immer anzutreffen sind.

Und hier nochmals ganz konkret: Auch ich hatte mit dem lästigen Problem der Überlastung zu kämpfen. Ich habe es durch organisatorische Maßnahmen gelöst und gebe zu, dass das nicht leicht war.

Amitiés
Reinold Skrabal
Gast

Hallo Herr Skrabal,

je vous remercie de votre réponse. Ich habe mir soeben Ihr Profil angesehen - meinen Respekt!

Sie haben mir sehr weitergeholfen.
Wie ich schon sehe, ist die Tätigkeit nichts für mich. Ich hatte schon ein paar Jahre in den Bereichen Wirtschaft, Recht und Technik bei Geschäften mit Frankreich zu tun (ich arbeite (noch) im Vertrieb). Habe aber festgestellt, daß es mich nicht befriedigt und mir zu trocken ist. Außerdem spielen Dinge wie alles immer schneller und schneller eine große Rolle, der ich mich einfach nicht mehr beugen möchte. Und es macht für mich keinen Sinn, mich weiter mit Themen zu beschäftigen, die mir nicht liegen und mich ständig verbiegen zu müssen, dann würde ich nur weiter gegen meine Interessen handeln.

Folglich werde ich mich nach einer ganz anderen Weiterbildung umsehen, in denen ich meine Interessen Tourismus, Lebensqualität und Work-Life-Balance voll ausleben kann, aber das gehört nicht in dieses Forum. Auch möchte ich höchtens 6 Stunden am Tag arbeiten und mir die Abende und Wochenenden für mein ganz persönliches Wohlbefinden frei halten.

Es freut mich aufrichtig für Sie, wenn Sie in Ihrem Beruf in Ihren Fachbereichen voll und ganz aufgehen (jeder Mensch ist anders und hat andere Interessenschwerpunkte) und eine gute Organisation gefunden haben.

Ich wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg.
Benutzeravatar
Reinold Skrabal
Forums-Scout
Forums-Scout
Beiträge: 298
Registriert: 19.01.03 19:32
Wohnort: Göppingen
Kontaktdaten:

Lieber Gast,

Sie sind Ihrer inneren Stimme und Ihrem ganz persönlichen Ziel gefolgt, und das ist gut so!

Der Zweck meiner Beiträge ist ja auch, eine ehrliche Antwort auf drängende berufliche Planungsfragen zu geben und den Interessenten sowohl Positives als auch Negatives ungeschönt vor Augen zu führen. Nur dadurch entsteht ein relativ klares Bild, das der Entscheidungsfindung dient. Drum teste sich, b e v o r er/sie sich bindet, auf dass sich nicht noch Besseres findet!

Viel Erfolg wünscht Ihnen
Reinold Skrabal
TomTom

Möglicherweise kommt meine Antwort etwas spät, aber dennoch möchte ich "meinen Senf" kurz dazugeben.

Zum einen arbeite ich bereits als Übersetzerin, obwohl ich mich erst jetzt bei der AKAD auf die staatl. Übersetzerprüfung vorbereite.

Es ist wahr, dass man als Freiberufler insgesamt viel Zeit und Energie investieren muss, um a) einen Kundenstamm aufzubauen und b) diesen auch zu halten. Es gibt durchaus Kunden, die mich am Wochenende kontaktieren, weil sie einen dringenden Auftrag haben.

Auf der anderen Seite finde ich die Schauermärchen von wegen man kann den Ausgangstext vorher nicht ansehen, der Kunde diktiert die Preise, usw. etwas weit hergeholt. Meine Kunden geben mir alle die Gelegenheit, den Text vorher anzusehen. Die Preise lege ich bereits vor der ersten Zusammenarbeit mit meinen Kunden fest, wobei ich ausdrücklich darauf hinweise, dass Preisanpassungen wg. aufwändiger Formatierungen o.ä. möglich sind. Natürlich kommt der Kunde mit einer Vorstellung zum Abgabetermin zu mir, und wenn sich seine Vorstellung mit meinen Möglichkeiten deckt, dann kann ich diesen Termin auch einhalten. Ist das aber nicht der Fall, dann sage ich ihm das. Im Grunde ist alles Verhandlungssache.

Man sollte den Verhandlungsspielraum, den man als Auftragnehmer hat, nicht unterschätzen. Und manche Kunden lassen sich durchaus auch "erziehen".

Gruß,

Sonja ;)
Antworten